Ja, auch solche Uhren gibt es. In diesem Fall
aber war es ein (fast) hoffnungsloser Fall. Nach glaubhaften Aussagen haben
sich im fernen Spanien 3 Uhrmacher insgesamt 4 Jahre an dieser Uhr versucht
und keiner konnte einen Erfolg vermelden. Und dann kamen der Besitzerfamilie
das Internet und eine Fragemaschine zur Hilfe. Sie fanden Beiträge von mir
und der Übersetzer machte es möglich, per Mail zu fragen, ob ich eine
Möglichkeit sehen würde...
Ganz schön kaputt, gelle!?
Na ja. Mein Sprachfehler eben.
14 Tage später dann die Post mit einem großen Paket. Ausgepackt und dann...
Aber seht selber und macht Euch ein Bild:
Die "4" fehlt und ward nicht mehr gesehen! Ein neuer Satz zahlen muss her.
Also,
nach dem Schadensbild war die Uhr (ja, war tatsächlich mal eine Uhr!)
anscheinend unter eine Straßenwalze gekommen. Beide Spulenkörper zerbrochen,
die Spule zerstört, Pendelfeder nur in Bruchstücken vorhanden,
Fortschaltklinke weg, Werk total verölt und verdreckt, das Messing schlimm
angelaufen, Zahlen vom Zifferblatt abgefallen und nicht mehr vollständig.
Macht alles in allem Viel, sehr viel Arbeit, wenn ich da überhaupt...
Schon durch leichtes Klopfen fielen auch andere Zahlen vom Blatt. Der neue
Satz hatte die passende Größe, war aber leider nicht aus Messing. Na ja.
Am
Blatt selbst habe ich nur sehr vorsichtig mit Pril und warmen Wasser den
gröbsten Schmutz abgewaschen. Vorsicht ist bei Ziffernblättern immer die
Mutter der Kiste
Als erstes mal alles, was noch fest war, abgeschraubt und untersucht. Das
geringste Problem war das kleine Werk. Und da war sogar das Fortschaltrad
noch in Ordnung, zum Glück kein Zapfen gebrochen. Jetzt auf die Suche nach
einer Fortschaltklinke gemacht. Das ist ein kleines Stück harter Stahl,
Poliert. Hm. so was nicht gefunden, weder bei meinen Bezugsquellen, noch im
Netz. Also musste ein Pendel aus dem Fundus dran Glauben. Die Klinke
ausgebaut und am Pendel der Maroden Uhr wieder angebaut. Das war ganz schön
trickie, das Loch in der Klinke war kleiner als die Löcher rechts und links
zur Aufnahme des Lagerstiftes. Einfach aufreiben ging nicht, die Klinke ist
ja hart. Sehr hart... Schleifen war auch nicht, denn 0,3 mm Bohrung auf 0,5
mm? Guter Rat musste her, denn so was hatte ich noch nicht gemacht. Der
Uhrmacher meines Vertrauens hat dann geholfen, vielmehr sein Juwelier. Der
hat die Bohrung dann auf das gewünschte Maß gebracht und ich konnte die
Klaue einbauen.
Zerlegte Uhr.
"Zerlegte" Spulenkörper.
Fehlende Fortschaltklinke.
Neue Pendelfeder und Fortschaltklinke.
Nochmal etwas deutlicher. Blau die neue Pendelfeder und rot die
Fortschaltklinke.
Unten rechts die neue Spule und die Attrappe, noch ohne Hülse. Eine der
Hülsen war gerissen und musste noch gelötet werden.
Testlauf.
In
der Zwischenzeit war auch die bestellte Pendelfeder da und ich musste "nur
noch" die Halterung anpassen. Die hatte einer der 3 Uhrmacher vorher mit
etwas viel Kraft auf das Maß einer Artfremden Pendelfeder zusammen
gedengelt. Zur Kenntnis: Die Pendelfeder muss sich nach vorn und hinten
bewegen lassen, darf aber kein Seitenspiel haben.
Reste der Pendelfeder.
Nachdem
das soweit geschafft war - das Pendel bewegte sich und auch die
Fortschaltklinke war richtig im Eingriff - machte ich mich an die
zerbrochenen Spulenkörper. Zu diesen Teilen folgendes. Hatot hat Spulenkerne
aus Hartholz benutzt. Das wurde auch von Haller & Benzing übernommen und
auch die Hamburg-Amerikanische-Uhrenfabrik (HAU) führte die Spulen so aus:
Hartholz-Kern, Messing-Halterung und Hülse aus Messing. Da gab es sehr wenig
Schäden. Junghans hat dann aber aus Ersparnisgründen den kompletten
Spulenkörper aus Kunststoff fertigen lassen und der brach sehr leicht.
Kein Problem, solange es für eine Uhr Baujahr 1930 herum noch Ersatzteile
gab. Also meine grauen Zellen in Wallung gebracht mit der Frage, was zu tun
sei. Irgendwie erinnerte ich mich, dass ich als 16-Jähriger (o, wie lang ist
das her) mal eine Obstschale, an der meine Mutter sehr hing, mit einem der
erste 2K-Kleber wieder zusammen geklebt hatte und diese Schale war immer
noch in meinem Besitz. Und da diese Schale 6 Umzüge überstanden hat, sprach
das für die Qualität des Klebers. Also meine Wahl war dann Endfest 90. Nach
3 Tagen aushärten konnte der Kleber wie fester Kunststoff bearbeitet werden
und auch kleine Fehl-Teile wurden durch den Kleber prima ausgeglichen. Und
jetzt kommt meine kleine Spulenwickelei wieder zum Einsatz. 5600 Windungen
0,063 mm Cul (mit Isolierung) wurden gewickelt. Die Spule hatte dann einen
Ohmschen Widerstand von 1995 Ohm.
...und sie bewegt sich wieder!
Der Batterieadapter.
Leider
nicht ganz Maßhaltig zum Original, aber auf der Rückseite sieht man das
nicht, hoffe ich. In diesem Adapter steckt eine Baby-Zelle / LR14 mit 1,5
Volt. Diese Batterie sollte so um die 3 - 4 Jahre halten.
Die
Montage war dann nur noch ein Klacks. Weil aber vorher in einem Forum einige
Diskussionen / Fragen zur Induktivität und den Abschalt-Spannungsspitzen,
die die Kontakte Verbrennen sollen, gestellt und geführt wurden, also auch
noch meinen Hantek-Oszi angeschlossen und an der Spule gemessen. Vorgaben:
Betriebsspannung 1,5 Volt. Widerstand der Spule - na, sagen wir mal 2000
Ohm. Mechanischer Kontakt, Schließer. Das macht einen maximalen Strom durch
die Spule von 0,00075A. Schaltdauer des Kontakts: ca. 6ms. Schaltzyklus 120
Mal pro Minute. Gemessener Strom 0,000015A. Die "Abschalt-Spannungsspitzen"
waren max. 20 Volt und damit haben die keinerlei schädliche Wirkung auf den
Kontakt.
So,
hier jetzt die Spannungsspitzen beim Abschalten. Der Kontakt ist noch nicht
gereinigt! Von der 0-Linie 1,5 Volt nach unten ist Kontakt geschlossen.
Schaltdauer = 6 ms; Spannungsspitzen max. 20 Volt.
Der
ist, wie gesagt, ein Schließer. Jeweils wenn die Fortschaltklinke den Zahn
weiter schaltet, wird durch den Heber der Kontakt geschlossen (sitzt als
Rolle unter dem Schaltrad). Das Kontakt-Material ist ein Platinstift und der
Gegenkontakt sind zwei Goldröhrchen. Durch diese Materialkonstellation ist
lange Lebensdauer gewährleistet. Nur hin- und wieder muss der Kontakt
gereinigt werden. Und da wird empfohlen, das mit trockenem Löschpapier oder
ganz dünnem Leder zu machen. Auch können im Bedarfsfall die Goldröhrchen
abgenommen und um 180° gedreht wieder auf die Stäbe gesetzt werden (habe ich
so gemacht, aber dann vergessen, nochmal zu messen
).
Übrigens: Die Empfehlung der Junghänse hier "Auf keinen Fall die Klinke, das
Schaltrad oder gar die Kontakte Ölen...!"
So, jetzt noch den Gang mit dem Gewicht auf der Pendelstange justiert und
alle meine Erwartungen wurden erfüllt!
Habe Fertig!
Jetzt
noch ein paar Worte zum Erfinder der ATO-Uhren und wie diese in Deutschland
hergestellt wurden.
Um 1920 herum wurde auf den Namen Leon Hatot ein Französisches Patent
veröffentlicht, welches das Prinzip einer Uhr beschrieb, die über das Pendel
mittels Elektromagnetismus angetrieben wurde. Also das ATO-Prinzip.
Eigentlich hätten da im Patentantrag zwei Namen stehen müssen, Leon Hatot
und Marius Lavet. Lavet arbeitete sehr eng mit Leon Hatot zusammen und war
wahrscheinlich zu dieser Zeit bereit mit der Entwicklung des
"Lavet-Schrittmotors" beschäftigt. Dieser Motor begegnet jeden, auch heute
noch, der sich mit Quarzuhren mit Analog-Anzeige beschäftigt. 1938 wurde
Marius Lavet das Paten auf diesen Motor erteilt. Übrigens stammt aus eben
dieser überaus fruchtbaren Zusammenarbeit der beiden Herren auch die erste
"Automatik-Uhr" also eine Uhr die sie nur durch die Bewegung beim Tragen
selbst auf zog.
Doch weiter mit dem ATO-Prinzip. Hatot vergab eine Lizenz zum Bau und
Vertrieb der ATO-Uhr an die Firma Haller & Benzing, das war so um 1924. H&B
war damit die erste Firma, die im Deutschen Reich Uhren nach dieser Lizenz
her stellte. Allerdings musste das Werk von Hatot auf Frankreich bezogen
werden, nur der Rest wurde in Deutschland hinzu gefügt. Diese Uhrenart
erhielt zusätzlich andere Möglichkeiten und die wurden weiter ausgebaut.
Uhrenanlagen entstanden, die bis zu 160 Nebenuhren betreiben konnten.
Nachdem H&B im Mai 1929 in Konkurs ging, wurde der HAU
(Hamburg-Amerikanische-Uhrenfabrik) die Lizenz für die ATO-Uhren von Hatot
übertragen. Allerdings nur für eine recht kurze Zeit. Denn diese Zeit um
1930 herum war geprägt durch extreme Finanzprobleme. Die HAU wurde in eine
AG umgewandelt und musste sich mit einigen anderen Herstellern zusammen
schließen, um zu überleben. Allerdings hat dann die Junghans auch die HAU
übernommen, böse Zungen behaupten, das war eine Übernahme der Feindlichen
Art - Junghans hat einfach die Aktien der HAU aufgekauft und den Besitzer
vor vollendete Tatsachen gestellt. Tatsache ist jedoch, dass Junghans weiter
Uhren nach Hatot herstellte, ohne die Entsprechende Lizenz. Hatot klagte
gegen Junghans und gewann diesen Patentstreit, allerdings erst nach dem
WKII, 1953. Junghans wurde zur nachträglichen Zahlung der Lizenzgebühren
verurteilt. Leon Hatot hatte nicht viel davon, da er kurz nach dem Urteil
1953 verstarb.
Hatot hat die Lizenz für ATO-Uhren an KUNDO Übertragen und da wurde diese
Uhren - nur als Einzeluhr - bis weit in die 70 er Jahre mit großem Erfolg
hergestellt.
Nicht von diesem Streit waren die Drehschwinger (auch ein Patent von Lavet /
Hatot) betroffen. Diese Werke findet man noch heute sehr häufig. Sie sind
robust und fast "unkaputtbar" ATO-Lic. oder Lic. ATO ist die Bezeichnung,
die auch Junghans verwendete. Bitte nicht verwechseln mit den Werken von
Hettich!
Anhänge
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